‚Alien-Artefakte‘ im Erdorbit der 1950er Jahre?

Mysteriöse Lichtblitze auf astronomischen Aufnahmen der 1950er Jahre: Das VASCO-Projekt und die Suche nach Objekten aus der Vor-Sputnik-Ära

In den Archiven der Astronomie schlummern Schätze, die mehr verraten könnten, als ihre ursprünglichen Schöpfer sich je vorgestellt haben. Forscher des VASCO-Projekts (Vanishing and Appearing Sources During a Century of Observations) haben zwei neue Studien veröffentlicht, die für Kontroversen in der Wissenschaft sorgen. Im Zentrum der Debatte stehen rätselhafte Lichtblitze auf fotografischen Platten aus den frühen 1950er Jahren – aufgenommen zu einer Zeit, als noch kein einziger künstlicher Satellit die Erde umkreiste.

Dr. Beatriz Villarroel vom Nordita (Nordic Institute for Theoretical Physics) an der Universität Stockholm leitet gemeinsam mit Kollegen der Vanderbilt University in den USA das außergewöhnliche Forschungsprojekt VASCO, das systematisch digitalisierte astronomische Fotoplatten nach sogenannten Transienten durchsucht – Lichtquellen, die blinken, verschwinden oder plötzlich auftauchen.

Die Besonderheit dieser Untersuchung liegt im Zeitraum: Die analysierten Aufnahmen stammen aus der Zeit vor dem Start von Sputnik im Oktober 1957, dem ersten künstlichen Satelliten. “Wir wissen, dass kurze Lichtblitze oft Sonnenreflexionen von flachen, hochreflektierenden Objekten im Erdorbit sind, wie Satelliten und Weltraumschrott”, erklärt Dr. Villarroel. “Aber die fotografischen Platten, die wir bei VASCO analysiert haben, wurden aufgenommen, bevor Menschen Satelliten im All hatten.”

Vier Belichtungen des 3×3-Bogenminuten-Himmelsbereichs, dessen Mittelpunkt der im Juli 1952 identifizierte dreifache Transient ist. Oben links: Das rote POSS-I-Bild vom 19. Juli 1952 um 8:52 Uhr (UT) mit dem dreifachen Transient knapp oberhalb der Bildmitte. Oben rechts: Ein blaues POSS I-Bild derselben Region mit einer Belichtungszeit von 10 m, das unmittelbar danach aufgenommen wurde und keine Anzeichen des dreifachen Transienten zeigt. Unten links und rechts: Rotes (links) und blaues (rechts) POSS I-Bild, aufgenommen zwei Monate später (14. September 1952), das zeigt, dass der Transient immer noch verschwunden ist (Scientific Reports).

Zwei Studien mit brisanten Erkenntnissen

Studie 1: Korrelationen mit Atomwaffentests und UAP-Sichtungen

Die erste Studie, veröffentlicht im renommierten Journal Scientific Reports, analysierte mehr als 106.000 Lichtblitze und identifizierte statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen dem Auftreten dieser Phänomene und zwei bemerkenswerten Ereignissen der 1950er Jahre: Atomwaffentests und Berichte über unidentifizierte anomale Phänomene (UAP, früher UFOs genannt).

Die Ergebnisse sind verblüffend:

  • 68 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit: Lichtblitze traten am Tag nach einem Atomwaffentest mit deutlich erhöhter Häufigkeit auf
  • 8,5 Prozent Zunahme: Für jeden UAP-Bericht stieg die durchschnittliche Anzahl der Lichtblitze um diesen Wert
  • Additive Effekte: An Tagen, an denen sowohl Atomtests als auch UAP-Sichtungen gemeldet wurden, gab es mehr als doppelt so viele Lichtblitze wie an Tagen ohne diese Ereignisse

Zwischen 1951 und dem Start von Sputnik 1957 führten die USA, Großbritannien und die Sowjetunion mindestens 124 oberirdische Atomwaffentests durch. Die UAP-Daten stammen aus der UFOCAT-Datenbank des Center for UFO Studies, der umfassendsten öffentlich verfügbaren Datenbank für UAP-Sichtungen aus diesem Zeitraum.

Dr. Stephen Bruehl von der Vanderbilt University, Hauptautor der Studie, zeigt sich überrascht: “Das Ausmaß der Verbindung zwischen diesen Lichtblitzen und Atomtests war überraschend, ebenso wie der sehr spezifische Zeitpunkt, zu dem sie am häufigsten auftraten – nämlich am Tag nach einem Test.”

Studie 2: Lineare Muster als “Rauchartefakt”

Die zweite Studie, publiziert in Publications of the Astronomical Society of the Pacific (PASP), konzentrierte sich auf ein besonderes Merkmal: Lichtblitze, die entlang einer Linie oder eines schmalen Bandes auftraten. Solche Muster würden Reflexionen von flachen, reflektierenden Objekten in Bewegung anzeigen – ähnlich wie moderne Satelliten oder Weltraumschrott.

Die Forscher identifizierten fünf potenzielle Kandidaten, wobei einer besonders hervorsticht: ein Ereignis am 27. Juli 1952, derselben Nacht wie die berüchtigte UFO-Welle über Washington, D.C., als zahlreiche unerklärte Radarkontakte und visuelle Sichtungen gemeldet wurden.

Ein weiterer bemerkenswerter Befund: Ein Drittel der Lichtblitze fehlte im Erdschatten, wo Sonnenreflexionen unmöglich sind. Dies legt nahe, dass mindestens ein Drittel der Phänomene tatsächlich durch Sonnenreflexionen von hochreflektierenden Objekten in hohen Umlaufbahnen verursacht wurde.

“Man bekommt diese Art von Sonnenreflexionen nicht von runden Objekten wie Asteroiden oder Staubkörnern im Weltraum, die während einer 50-minütigen Belichtung Streifen hinterlassen würden”, erläutert Dr. Villarroel. “Sondern nur, wenn etwas sehr flach und sehr reflektierend ist und das Sonnenlicht mit einem kurzen Blitz reflektiert.”

Kritische Stimmen aus der Wissenschaft: Platten-Artefakte statt außerirdischer Objekte

In der Wissenschaftliche reagiert man mit Skepsis auf diese Ergebnisse. Dr. Michael Brown, Associate Professor für Astronomie an der Monash University, bringt es auf den Punkt: “Es sind keine Aliens. Es sind Fehler in fotografischen Platten, die vor über einem halben Jahrhundert aufgenommen wurden.”

Brown verweist auf die Analyse von Dr. Nigel Hambly, Senior-Forscher an der School of Physics and Astronomy der University of Edinburgh, der denselben Datensatz untersuchte und zu einem ernüchternden Schluss kam: Die mutmaßlichen Transienten seien “wahrscheinlich falsche Artefakte der fotografischen Emulsion”. Hamblys Studie, veröffentlicht im Journal RAS Techniques and Instruments im Februar, führt diese Erscheinungen auf das Kopierverfahren zurück, das zur Verbreitung der Glasplatten-Atlanten vor der Ära der Digitalisierung verwendet wurde.

Professor Brown äußert auch Bedenken hinsichtlich der fachlichen Expertise: “Es ist eine Warnsignal und definitiv ein Grund zur Vorsicht, dass der Hauptautor einer der Studien, Dr. Bruehl, Mediziner und kein Astronom ist.” Zwar könnten Fachfremde durchaus bedeutende Beiträge leisten, doch sei auch das Fehlerrisiko erhöht.

Professor Tim Bedding von der School of Physics der University of Sydney äußert sich vorsichtig-kritisch: “Diese Fotografien enthalten Millionen von Sternen, und wenn man genug Fotos untersucht, wird man zwangsläufig einige ungewöhnliche Dinge finden. Ob es sich um echte Objekte im Weltraum oder einfach um chemische Fehler in der fotografischen Emulsion handelt, ist schwer zu sagen.”

Professor Jonti Horner von der University of Southern Queensland mahnt mit einem klassischen Grundsatz der Wissenschaft: “Außergewöhnliche Behauptungen erfordern außergewöhnliche Beweise.” Er verweist auf die lange Geschichte scheinbar unerklärlicher Beobachtungen, die sich später als konventionelle Phänomene entpuppten – von den Testflügen des F-117 Nighthawk Stealth-Bombers über Yorkshire in den 1980er Jahren bis zu den atmosphärischen “Sprites” über Gewittern, die zunächst belächelt wurden, heute aber Gegenstand intensiver Forschung sind.

Mehr als nur Platten-Artefakte?

Dr. Villarroel kontert die Kritik mit Verweis auf die identifizierten Korrelationen: “Wenn man eine zeitliche Korrelation hat, stimmt das nicht mit der Vorstellung überein, dass die gesamte Stichprobe aus Plattendefekten besteht.” Die besten Fälle würden ausgerechnet während des Washington-Flaps von 1952 auftreten.

Die Bedeutung der linearen Muster hebt sie besonders hervor: “Wenn ein Objekt seine Umlaufbahn zieht, rotiert und taumelt es, und man erhält Blitze, die auf einer Linie oder entlang eines Bogens liegen. Diese Dinge sind gute Signaturen. Wenn man die Hypothese testen will, dass man ein außerirdisches Artefakt hat, und man denkt: Okay, wie trenne ich zwischen Kontamination und echter Reflexion? Dann sucht man nach Dingen, die auf einer Linie liegen.”

Wissenschaftliche Implikationen und die UAP-Debatte

Unabhängig vom Ausgang dieser Kontroverse wirft das VASCO-Projekt wichtige Fragen auf:

1. Methodische Herausforderungen: Wie können wir Jahrzehnte alte fotografische Daten zuverlässig interpretieren, wenn die Unterscheidung zwischen echten astronomischen Phänomenen und technischen Artefakten so schwierig ist?

2. Interdisziplinäre Forschung: Die Debatte zeigt, wie wichtig fachübergreifende Expertise ist – und wie Spannungen zwischen innovativen Außenperspektiven und etablierter Fachkenntnis entstehen können.

3. Wissenschaftliche UAP-Forschung: Die Studie berührt ein sensibles Thema. Die wissenschaftliche Untersuchung von UAP gewinnt zunehmend an Legitimität, wie Professor Horner betont: “Wenn Menschen etwas Seltsames am Himmel sehen, sollten sie darüber sprechen können.”

4. Historische Kontextualisierung: Die mögliche Verbindung zu Atomwaffentests wirft Fragen auf: Könnten atmosphärische Effekte von Atomtests oder sogar direkte Kontamination der Fotoplatten durch radioaktiven Fallout eine Rolle spielen?

Fazit: Wissenschaft im Spannungsfeld zwischen Sensation und Skepsis

Das VASCO-Projekt steht exemplarisch für die Herausforderungen der modernen Wissenschaft im Umgang mit kontrovers diskutierten Erkenntnissen. Die Forscher um Villarroel präsentieren einerseits statistische Korrelationen. Andererseits weisen etablierte Astronomen auf plausible konventionelle Erklärungen hin – vor allem auf die bekannte Problematik alter fotografischer Emulsionen.

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich, wie so oft in der Wissenschaft, in einer differenzierten Betrachtung: Während ein Großteil der identifizierten “Transienten” vermutlich tatsächlich Platten-Artefakte sein dürfte, wie Dr. Hambly nachgewiesen hat, könnten einzelne Fälle durchaus echte, bisher unverstandene Phänomene darstellen – ob nun atmosphärischer, astronomischer oder anderer Natur.

Ein prinzipielles Problem im Vergleich mit Sichtungsdatenbanken ist deren reine Sammlung an Sichtungsberichten, die erfahrungsgemäß nur zu einem geringen Prozentsatz UFOs im engeren Sinn, also nach einer Untersuchung als unidentifiziert eingestufte Fälle, enthält, die bei einer solchen Analyse herausselektiert werden müssten. Das gilt auch bei Sichtungswellen, bei denen auch die Umstände zu betrachten sind, unter denen sie zustande kommen. Die Gesamtbetrachtung anhand von Sichtungsmeldungen beinhaltet aber zu einem großen Anteil herkömmliche Objekte und Phänomene, die nichts mit den eigentlichen gesuchten UFOs/UAP zu tun haben.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass wissenschaftlicher Fortschritt sowohl neuartige Hypothesen als auch Skepsis benötigt. Die weitere Forschung wird zeigen müssen, ob die Lichtblitze der 1950er Jahre tatsächlich mehr offenbaren als die technischen Limitationen ihrer Zeit – oder ob sie letztlich ein faszinierendes Beispiel dafür sind, wie leicht wir Muster in Rauschen erkennen, wenn wir nur intensiv genug danach suchen.

Quellen:

Bruehl, S., & Villarroel, B. (2025). Transients in the Palomar Observatory Sky Survey (POSS-I) may be associated with nuclear testing and reports of unidentified anomalous phenomena. Scientific Reports, 15(1), 34125. https://doi.org/10.1038/s41598-025-21620-3

Chung, F. (2025, 29 October). ‘Alien artefacts’: Flashes of light in 1950s astronomical photos could reveal ‘pre-Sputnik’ objects in orbit. News.com.au. https://www.news.com.au/technology/science/space/alien-artefacts-flashes-of-light-in-1950s-astronomical-photos-could-reveal-presputnik-objects-in-orbit/news-story/01896b00b1c2681a5526ed2b61b7d372

Hambly, N., & Blair, A. (2024). On the nature of apparent transient sources on the National Geographic Society-Palomar Observatory Sky Survey glass copy plates. RAS Techniques and Instruments, 3(1), 73-79. https://doi.org/10.1093/rasti/rzae004

Stockholm University (2025, 20 October). Unexpected patterns in historical astronomical observations. https://www.su.se/english/news/unexpected-patterns-in-historical-astronomical-observations-1.855042

Villarroel, B., Solano, E., Guergouri, H., Streblyanska, A., Bruehl, S., Andruk, V. M., Mattsson, L., Bär, R. E., Mimouni, J., Geier, S., Gupta, A. C., Okororie, V., Laggoune, K., Shultz, M. E. , & Freitas, R. A. (2025). Aligned, multiple-transient events in the First Palomar Sky Survey. Publications of the Astronomical Society of the Pacific, 137(10), 104504. https://doi.org/10.1088/1538-3873/ae0afe

  

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